Wenn ich mich so an meine Kindheit zurück erinnere, gibt es nur wenige wirklich glückliche Momente, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Interessanterweise haben die meisten mit Naturerlebnissen zu tun. Eine wirklich schöne Erinnerung verbinde ich mit den Herbsturlauben im Bayerischen Wald. Hauptinhalt dieser Urlaube war es, neben dem Leben im Wohnwagen und auf dem Kinderspielplatz, stundenlang im Wald zu sein und Pilze zu suchen. Jeder von uns hatte damals ein kleines Körbchen und ein (stumpfes) Messerchen im Gepäck. Das Messerchen natürlich weil man die Wurzel des Pilzes (was für den Laien eigentlich nur der Fruchtkörper ist) nicht ausrupfen darf, denn sonst stirbt der Pilz und man kann im nächsten Jahr an dieser Stelle nur noch wenige bzw. keine Fruchtkörper mehr finden.

Wenn ich meinen Freunden von diesen Urlauben erzähle, bin ich sicher, dass meine Augen anfangen zu blitzen, denn diese Erlebnisse hatten etwas ganz Besonderes für sich: Pilze sammeln bzw. suchen fühlt(e) sich an wie ein Indianer-Jones- oder ein Goonies-Erlebnis, denn in Wirklichkeit sind Pilze für mich nichts anderes gewesen als kleine, aber sehr wertvolle Schätze. Psychologisch lässt sich das sehr schnell aufschlüsseln: Ich war ein wirklich begnadeter Pilzesammler! Meine Augen waren sozusagen auf Pilze "programmiert". Das alles kam natürlich durch entsprechende Konditionierung, d.h. immer, wenn ich einen Pilz gefunden habe wurde ich kräftig gelobt. Da das bei mir als Kind recht selten vorkam, habe ich natürlich alles daran gelegt, immer wieder gelobt zu werden und so begann meine Karriere als "Pilzkind". Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja auch noch mehr Gründe, warum es gerade mir so leicht fiel, die schönsten und wertvollsten Pilze zu sehen, an denen meine Eltern einfach so vorbei gingen.

Was sind Pilze eigentlich für Organismen? (eine kleine Lehreinheit)
Bei dem Nicht-Biologen besteht darüber kaum Klarheit. Im allgemeinen Verständnis werden sie als Pflanzen gesehen. In der Fachliteratur entfernter angewandter Disziplinen werden diese noch heute als pflanzliche Holzzerstörer oder pflanzliche Parasiten benannt.
Pilze sind jedoch keine Pflanzen. Es sind Organismen, die zu einem eigenständigen Organismenreich zusammenzufassen sind, das, ebenso wie das der Pflanzen und das der Tiere, aus eukaryotischen Einzellern hervorgegangen ist.
Die Unterschiede zwischen Pilzen und Pflanzen sind wissenschaftlich eindeutig und sogar auf molekularbiologischer Ebene bewiesen. Pflanzen können Lichtenergie nutzen. Sie sind autotroph , d.h., ihre Existenz und ihr Wachstum sind (in der Regel) von den Aktivitäten anderer Lebewesen unabhängig. Pilze sind stets heterotroph sie sind auf das Vorhandensein organischen Materials angewiesen.
Eines der größten lebenden Organismen der Welt ist übrigens ein Holz zerstörender Pilz, ein Hallimasch Armillaria ostoyae, der eine Fläche von ca. 6 km² im Staate Washington (USA) besiedelt und ein Alter von 400-1.000 Jahren zählt. Auffällig wird der Pilz im Herbst durch das Auftreten seiner goldenen Fruchtkörper. Hauptsächlich lebt er im Untergrund, wo er massenhaft wurzelartige Strangmyzelien ausbildet. Mit diesen erschließt er neue "Weidegründe"

Artenzahl
Pilze sind eine noch sehr unerforschte Organismengruppe, lediglich etwa 75.000 Arten kennt die Wissenschaft bislang. Die Artenzahl der Pilze erscheint zunächst gering, zumal im Vergleich zum recht gut bekannten Reich der Pflanzen (282.000 Arten), wovon ca. 250.000 Spezies Gefäßpflanzen sind. Die Artenzahl der Pilze wird heute jedoch allgemein auf 1.500.000 geschätzt, was von Mykologen als realistische Größenordnung anerkannt wird. Damit übersteigt diese Zahl erheblich die möglichen 500.000 existierenden Arten des Pflanzenreiches (man schätzt annähernd 400.000 Gefäßpflanzen).

Ich kann mich noch sehr gut an das Gefühl erinnern, welches ich hatte, wenn ich eine samtige braune Kappe entdeckt habe, und dann die fieberhafte Suche nach weiteren braunen Käppchen in der Umgebung. Oder das faszinierte Staunen, wenn man mitten in einem "Hexenring", also einer kreisförmigen Anzahl von Pilzfruchtkörpern steht. Es gibt bzw. gab so viele tolle Pilzsorten, dass ich aus dem Staunen oft nicht heraus gekommen bin. Eine kleine Auswahl der damaligen Pilzfunde habe ich Euch mal in einer Slideshow zusammen gestellt.
Claudia und ich haben damals auch oft Gallenröhrlinge gesammelt - ein ungenießbarer, aber nicht giftiger Röhrenpilz, der von Anfängern häufig mit Steinpilzen oder Maronen verwechselt wird. Wir haben uns dann einen ausgehölten Baustamm (Ofen) gesucht und "Pilze kochen" gespielt.
Zum Glück war uns als Kinder noch nicht so bewusst, dass mehrere Kilo Pilze sammeln auch mehrere Stunden Putzarbeit bedeuteten. (Ja, die Pilzen aus dem Wald sind bei Weitem nicht so sauber, wie die aus dem Supermarktregal und die schmecken auch nicht nur Menschen, sondern auch allen möglichen kleinen Tieren, die sich in und um den Pilz herum aufhalten. Damit es trotzdem ein Genuß wird, muss das natürlich alles säuberlich entfernt werden - dazu reicht Wasser oft nicht aus.) Das hat damals meisten Mama gemacht, während wir auf dem Spielplatz die letzte Energie herausgespielt haben oder schon tief schlummernd in unserer Wohnwagenkoje lagen.

Bis heute macht sich meine Mutti auf den Weg in den Wald, um Pilze zu suchen und wenn ich es schaffe, statte auch ich Herrn Fliegenpilz und Co. gern noch heute einen Besuch ab. Ganz so magisch wie damals ist es nicht mehr ... aber manchmal, wenn man ganz alleine in einem lichtdurchfluteten Wald steht, mit Moosen, Farnen, Gräsern und Unterholz und auf einmal das Auge an einer wunderschönen Pilzformation hängen bleibt, dann bin ich wieder das Pilzkind.

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